Schachgeschichte(n) von Carsten Giesen
Ursprung
Schach entstammt nach aktuellem Stand der Forschung dem indischen Raum. Eine Sanskrit-Quelle beschreibt 620 n.Chr. ein Spiel, das später "Chaturanga" genannt wird. Dieses wird für den Ursprung aller Schachvarianten gehalten, neben dem heutigen westlichen Schach vermutlich auch die chinesische Schachform Xiangqig. Eine weitere Quelle aus der Zeit zwischen 750 und 850 beschreibt die Ankunft eines Schachspiels am persischen Hofe als Teil der Gastgeschenke einer indischen Gesandtschaft. Unter dem persischen Namen "Schatrandsch" gelangte es zuächst mit den arabischen Eroberungen nach Westen zum Mittelmeer.
Der Weg nach Europa
Die europäische Welt kam auf zwei Wegen mit dem Schachspiel in Berührung: zum Einen trafen die Kreuzfahrer im östlichen Mittelmeerraum auf eine Kultur, in der das Schachspiel verbreitet war. Zum Anderen war in Spanien seit der Eroberung durch Araber und Berber das Spiel der Könige bekannt, wo es Pilger und Bildungsreisende kennenlernten und mit nach Hause brachten.
Schach erlangte schnell eine hohe Bedeutung als Schulung für den Verstand, so dass es in die ritterlichen Tugenden aufgenommen wurde. Als Alfonso X. "el Sabio" von Kastillien einen Enzyklopädie in Auftrag gab, um das Wissen der Welt festzuhalten, widmete er interessanter Weise eines der vier Bücher dem Thema Gesellschaftsspiele und darin einen großen Teil dem Schachspiel. Dieses "Schachzabelbuch" oder auch "Libro de los Juegos" oder "Libros del Axedrez, Dados et Tablas" enthält sogar die Herstellungsweise des Spiels, die Regeln verschiedener Schachvarianten und eine Sammlung von Schach-Denkaufgaben.
Prinzip
Das Schachspiel war ein ritualisierter Kriegszug, der mit den damals im vorderasiatische Raum bekannten Truppen geführt wurde:
Die Fußkämpfer bildeten die erste Reihe, die man auch heute als Bauern kennt. Die Reiterei hat sich ebenfalls bis heute erhalten, ebenso wie der König die zentrale Figur des Spieles ist. Zur heutigen Dame gibt es eine kleine Geschichte, die weiter unten erzählt wird.
Der heutige Läufer war damals noch ein Kriegselefant, wohingegen das, was wir als Turm kennen, ein Streitwagen war.
Die Figuren
Der muslimische Glaube verbot es, Lebewesen bildlich darzustellen, weshalb der arabische Figurensatz sehr abstrakt ist. Zwar haben die christlichen Europäer schnell wieder sehr detaillierte Figuren hergestellt, doch waren, auch aufgrund von Sprach- und anderen kulturellen Unterschieden einige Dinge des Ursprungs verloren gegangen. z.B. erklärt sich so die Veränderungen in der Bedeutung der Figuren.
Als besondere Beispiele seien hier genannt:
Der Elefant wurde nur durch zwei Stoßzähne gekennzeichnet. Da Elefanten in Europa nicht bekannt waren, nannte man die Figur ohne Kenntnis der Bedeutung "Fil", abgeleitet vom arabischen "Alfil", was Elefant bedeutet. Beim Kopieren von Figuren wurden nun offenbar die Spitzen nach oben statt nach vorne gerichtet, was dann im englischen Raum als Mitra gedeutet und die Figur deshalb mit Bischof - "bishop" - bezeichnet wurde. Die Franzosen hingegen sahen darin eine Narrenkappe, weshalb die Figur "le fou", der Narr hieß. Im deutschen orientierte man sich bei der Bezeichnung "Läufer" wohl eher an Zug und Position der Figur.
In den alten Spielsteinen sieht die heutige Dame wie ein verkleierter König aus. Da eine alte Schachregel für vier Personen jede Partei mit König, Pferd, Elefant, Streitwagen und 4 Fußkämpfern ausstattet, wird vermutet, dass beim Übergang zur Zwei-Parteien-Version einfach ein König zum Berater degradiert wurde. Die mittelalterliche Bezeichnung "Fers" dürfte dem arabischen "Fersan" für Wesir entspringen.
Die Entstehung der Dame ist hingegen ein Kuriosum:
In Spanien suchte man die Bedeutung der Figur und folgerte aus der Endung "-a" der spanischen Bezeichnung "ferza", sie müsse weiblich sein. Und die einzige weibliche Person, die neben dem König stehen konnte, war die Königin. Im altfranzösischen wurde die Bezeichnung "fierce" zu "vierge", was man als "Jungfrau" übersetzte.
Im Zuge der Marienverehrung des Spätmittelalters kurz vor 1500 war der damals schwache Zug der Figur nicht vereinbar mit der Stellung der Königin, die als Bild für die Mutter Gottes gesehen wurde. So gab man ihr kurzerhand neue Zugregeln, die sie zur stärksten Figur auf dem Feld machten. Diese sind bis heute gültig.
Die Regeln
Aus dem westlichen Zweig der Schachtradition entstammt die Quelle für die Regeln des Schach, die ich zur Grundlage dieser Seite genommen habe: Abraham ibn Ezra war ein arabischstämmiger, spanischer Jude des 12. Jahrhunderts. Ihm sagt man nach, vom Schachspiel so beeindruckt gewesen zu sein, das unten stehende Gedicht darüber zu schreiben. Dieses Gedicht enthält lyrisch verpackt die Regeln, wie er sie kannte. Da ich die hebräische Originalquelle leider nicht zitieren kann, an dieser Stelle eine frühe deutsche Übersetzung.
Es sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass es zu jener Zeit keine einheitlichen Regeln für Schach gab, sondern dass sich diese je nach Region in Einzelheiten unterscheiden konnten.
Ich sing ein Lied von einer Schlacht, gereihet |
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Und aller Angesicht zum Schlagen ist bereit. |
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Die Rothen ziehen aus nach ihnen, |
Die Bauern ziehen ein Feld vorwärts und schlagen diagonal. die Möglichkeit, beim ersten Zug zwei Felder weit (zum dritten Feld) zu ziehen ist schon eine neuere Adaption, die in den arabischen Regeln nicht auftaucht. Während der heute an der gegnerischen Grundlinie in eine beliebige Figur umgewandelt werden kann, ist es hier nur der Fers. |
Und ist von seiner Stätt' er weit gewandert |
Der Fers als "degradierter König" kann nur ein Feld diagonal ziehen. So erklärt sich auch die Umwandlung der Bauern, weil der Fers dadurch nicht mehr als ein "auch rückwärts schlagender Bauer" ist. |
Der Fil zum Streite schreitet immer näher; |
Der Fil geht zwei Felder diagonal. (beim "dreifach" wird das Ursprungsfeld mitgezählt). Er kann nach den arabischen Regeln eine im Weg stehende Figur überspringen. Die Fil sind somit mit je 8 Feldern, die sie besetzen können, recht schwach. |
Des Rosses Fuss, sehr leicht ist er im Streite, |
Das Ross hat den heute für den Springer bekannten Zug, der die Fähigkeit für schnelle Angriffe auf die Flanken widergibt. |
Der Roch geht grad auf seinem Wege |
der Roch, Eine Bezeichnung, die sich vermutlich vom Sagenvogel Rock harleitet, zieht wie der heutige Turm. |
Der König schreitet hin nach allen Seiten, |
Der König kann ebenfalls wie heute in alle Richtungen ziehen, solange er nicht selbst bedroht ist. |
Zu Zeiten aber seine Schaaren um sich sammeln; |
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Und wenn in ihrer Falle der König ist gefangen, |
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Indem sie schau'n, wie ihr Gebieter ist geschlagen. |
Quellen:
E. Heinen: Sephardische Spuren 2
A.i. Ezra: Schachgedicht
Wikipedia
T.v. Heydebrand: Zur Geschichte und Literatur des Schachspiels: Forschungen