Mode im Mittelalter von Gabriele Klostermann
Schlupfärmel
Schlupfärmel-Kleider tauchen etwa ab 1230 auf. Dabei gibt es unterschiedliche Formen bei Männern und Frauen.
Bei Frauen ist es eher die Form einer Schlupfärmel-Cotte, d.h. es ist wie eine normale Cotte geschnitten, bei der lediglich die Ärmelnaht nicht ganz geschlossen ist. Diese bleibt vorne offen, so dass der Arm aus der Ärmel genommen werden kann. Die Schlupfärmel-Cotte scheint eher eine Art Arbeitskleid zu sein, denn sie wird häufig von Mägden oder Hebammen getragen (siehe auch weiter unten bei "Stillkleid"). Oft werden die losen Ärmel dabei hinter dem Rücken zusammen geknotet oder hinten in den Gürtel gesteckt, damit sie nicht stören. Werden die Arme aus der Cotte genommen, ist das darunter sichtbare Kleidungsstück meist "weiß" - es sieht nach Unterkleid aus.
Die dargestellten Szenen zeigen meist Frauen bei der Arbeit oder im "intimen" Bereich, also nicht in der Öffentlichkeit. Denn eigentlich war das Zeigen von Unterwäsche für Frauen nicht schicklich.
Goslarer Evangeliar, Deutschland, um 1240:
Mit ein bisschen Fantasie kann man bei der Dame hinten auf dem Rücken eine Schlaufe erkennen, die als geknoteter Ärmel interpretiert werden kann. Dass das "Unterkleid" hier blau ist, würde ich als künstlerische Freiheit interpretieren. Der Wimpel ist ja auch blau. Leinen wird öfter mal bläulich dargestellt.
Bible moralisée, Paris, um 1250:
Maciejowski-Bibel, Paris, um 1250:
Bei Männern dagegen wird das Schlupfärmel-Kleid nur als Surkot getragen und scheint hauptsächlich 3/4-Ärmel aufzuweisen.
In der Maciejowski-Bibel (Frankreich, um 1250) tauchen die Schlupfärmel-Kleider sehr viel häufiger bei Männern auf. Hier werden auch oft die Arme aus dem Kleid genommen, denn hier wird noch eine Cotte daruter getragen.
Dabei taucht der Schlupfärmel-Surkot hauptsächlich in der längeren Variante auf. Auffällig dabei ist, dass er oft eine handbreit über der Cotte endet, man hier also den Cotte unten noch rausblitzen sieht - dies ist jedoch nur in der Maciejowski-Bibel zu finden. Daneben gibt es auch eine kürzere Variante. Interessant finde ich, dass es in der Maciejowski-Bibel bein den Männern signifikant mehr Abbildungen von Schlupfärmel-Surkots gibt als von ärmellosen Surkots. Auch Frauen mit ärmellosem Surkot gibt es nur ganz wenige.
Ein bisschen Statistik aus der Maciejowski-Bibel:
Anzahl der Folios | 92 |
Anzahl der Folios mit Schlupfärmel-Cotte bei Frauen | ca. 7 |
Anzahl der Folios mit Schlupfärmel-Surkot bei Männern | ca. 28 |
Der Schlupfärmel-Surkot bleibt auch später noch modern und ist auch in anderen Quellen zu finden. Als Schlupfärmel-Cotte habe ich das Schlupfärmel-Kleid bei Männern jedoch nie gesehen.
Maciejowski-Bibel, Paris, um 1250:
Manesse, Zürich, um 1305:
Bei den Surkots mit Arm drinnen kann man hier nicht sicher sagen, dass es ein Schlupfärmel-Surkot ist, die Ärmel können auch normal fixiert sein. Aber hier sind auch die verschiedenen Halsausschnitt-Formen recht interessant. Hier ist das Surkot nicht kürzer als die Cotte.
Strasbourger Münster, um 1300:
Auch hier ist das Surkot nicht kürzer als die Cotte.
Ende des 13. / Anfang des 14. Jahrhunderts wird die Variante als Surkot auch bei den Damen modern. Die 3/4-Ärmel lassen sich nun nicht mehr zum Arbeiten knoten oder in den Gürtel stecken. Wir finden den Schlupfärmel-Surkot nun auch bei Frauen-Darstellungen, die definitiv keine Mägde sind und sich auch nicht im häuslichen Umfeld befinden.
Freiburger Münster, um 1300:
Schlupfärmel-Surkots, zweimal mit Armen aus den Ärmeln und einmal mit Armen im Ärmel. Wobei sich bei der "Arme-drinnen-Version" natürlich nicht zwangsläufig um ein Schlupfärmel-Surkot handeln muss - es könnte genauso gut ein 3/4-Ärmel-Surkot sein.
Bitte die Farbgebung einfach ausblenden - sie ist nicht zeitgenössisch.
Am Strasbourger Münster findet man interessanterweise beide Varianten:
Eine Magd bei der Arbeit mit in den Gürtel gesteckten Ärmeln. Das Kleid ist gerafft, indem der Saum in den Gürtel gesteckt wurde. Das Kleid darunter ist nur knöchellang, was auf ein Unterkleid hindeutet.
Maria Magdalena (mit Gebende und Schleier), die Jesus nach der Auferstehung trifft, mit herarbhängenden kürzeren Ärmeln.
Die Schlupfärmel-Cotte bleibt bei den Frauen also auch neben dem Schlupfärmel-Surkot bestehen.
Strasbourger Münster um 1300:
Schwangerschafts- und Stillkleidung
Für die Schwangerschaft braucht frau keine speziellen Kleider, denn die normalen Cotten sind weit genug geschnitten, dass sie auch Hochschwangeren passen sollten.
Stillkleidung weist eventuell geringfügige Änderungen auf.
Da wäre zunächst das Unterkleid: da existiert eine Abbildung, die man als Unterkleid interpretieren kann und hier ist einfach der Halsschlitz verlängert worden.
Bei der Cotte scheint es so zu sein, dass sie Schlitze aufweist, die allerdings keine Verlängerung des Halsschlitzes darstellen. Hier ist meine Überlegung, dass es wenig Sinn macht, mitten in eine Stoffbahn zu schneiden. Weitaus sinnvoller erscheint es mir, von einer Schlupfärmel-Cotte auszugehen, denn dort sind die Schlitze bereits an der richtigen Stelle. Danke an Sonja Utzenrath an dieser Stelle für die Idee mit den Schlupfärmeln. Praktisch, dass es nun noch die dazu passenden Abbildungen gibt ;-).
Gut zu sehen ist meiner Meinung nach auf dem Bild aus Marburg: hier ist der hintere Ärmel angezogen und hochgekrempelt; der vordere Arm ist aus dem Ärmel genommen, um zu stillen.
Dies ist natürlich nur eine Theorie. Es kann neben dieser Möglichkeit natürlich auch andere Lösungen gegeben haben.
Die Kombination von lang geschlitzem Unterkleid und Schlupfärmel-Cotte hat zumindest den Praxistest bestanden ;-).