Presse Tannenberg 1998 Text
vom Dienstag, 6. Oktober 1998
Nr. 323 RO
Ausgabe Kassel
Seite 11
von Alexandra Koch
Mittelalterliches Heerlager
Heißer Tip: Warme Steine ins Bett"
Es sei "das bisher regenreichste Tannenburgfest" gewesen, lautete das Fazit der rund 400 Teilnehmer die der Tannenburg bei Nentershausen vier Tage lang mittelalterliches Leben einhauchten.
NENTERSHAUSEN "Wir haben ziemlich oft gefroren, aber am Lagerfeuer war es immer einigermaßen warm." Diese Bilanz zog Sylvia Schönwitz von der mittelalterlichen
Reisegruppe "Der Troß" aus Ratingen bei Düsseldorf, die wie viele andere an einem viertägigen "mittelalterlichen Heerlager" auf der Burg Tannenberg bei
Nentershausen teilnahm. Auch in ihrem Zelt, in dem zwei mit Fellen belegte Feldbetten stehen, sei es trocken und warm gewesen.
Die Zeltleinwand, die richtig gespannt sein müsse, damit das Regenwasser daran ablaufe, hat Sylvia Schönwitz - so wie manches Gewand - selbst genäht. "Die gegenwärtige Mode kommt mir mit ihrer Stoffauswahl sehr entgegen ", sagt sie. Denn sowohl bei den Stoffen und Schnitten als auch bei der Art im Heerlager zu nächtige und auf offenem Feuer zu kochen, achten die Darsteller vor Allem auf Authentizität. Das einzig
Neuzeitliche, das sich so mancher Teilnehmer in den vier Tagen zu Füßen der Tannenburg zugestand war, laut "Troß"-Mitglieder, eine Plastikplane am
Boden des Leinwandzeltes.
Natürlich kenne man als Mittelalterfan auch ein paar Geheimtips aus dieser Zeit, meint Ger von der Osten-Sacken, der singende Spielmann der "Troß"-Truppe. Sehr angenehm bei Kälte und Regen seien beispielsweise heiße Steine im Bett. "Die Steine werden gesammelt, ans Lagerfeuer gelegt und dann mit einem Wolltuch umwickelt." Kalte Füße gab es deshalb beim "Troß" nicht.
"Trotz des Regens hatten wir unseren Spaß", so Christoph Bitter aus Bonn, der
mit einem Schwert bewaffnete Edelmann der mittelalterlichen Reisegruppe. "Reisen war damals extrem gefährlich, deshalb brauchte das fahrende Volk einen Freiherrn wie mich zum Schutz an seiner Seite", erklärt er die Rollenaufteilung in der Gruppe.
Jeder Verein oder Club, der mittelalterliches Leben nachempfindet, lebt von dieser Rollenvergabe. Bei "Tempora Nostra", einer Projektgruppe mit Teilnehmern aus ganz Deutschland,
steht die Figur der Gräfin von Sponheim, die im 13. Jahrhundert lebte, im Mittelpunkt. Dargestellt wird sie von Gabriele Heinzel aus Köln, die wie viele andere für ihren Aufenthalt im Nentershausener Ritterlager zwei Tage frei nehmen mußte. "Aber das hier ist für uns Urlaub", erklärte die "Gräfin". Außerdem habe es am Abend ein Sieben-Gänge-Menü gegeben und in ihrem Zelt sei es trocken. "Wir haben es also recht komfortabel hier im Heerlager"
Abgesehen vom Essen, Trinken, Singen und Feiern gehen die Darsteller in den Ritter- und Heerlagern auch einem "normalen" Alltagsleben nach.
Zelte müssen aufgebaut und Feuerstellen eingerichtet werden. Handwerk und Handel mittelalterlichen Zubehörs werden betrieben. Im Lager und auf der Burg wurde genäht, gesponnen, geschmiedet, geschnitzt und Leder bearbeitet.
Einen Einblick erhielten die Besucher am letzten Veranstaltungstag. Heerlager, Mittelaltermarkt, Taverne und Badehaus waren am "Tag des offenen Geschichtsbuches", so der Veranstalter, für die Öffentlichkeit zugänglich. Höhepunkt für die rund 500 am Mittelalter interessierten, die zur Burg Tannenberg gekommen waren, gab es
viele: Ritterschaukampf, authentische Badezeremonien im Holzbottich, gezähmte Bussarde und Falken auf der Hand von Kreuzrittern.
"Wir wollen der Tannenburg wieder Leben einhauchen und sie ins Bewußtsein der Leute in dieser Region rücken", beschrieb Friedrich-Wilhelm von Baumbach vom Verein der Freunde der Burg Tannenberg die Motivation, das jährliche Ritterspektakel in Nentershausen
mit zu organisieren.
(zxy)