Lexikon
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Gebende
Das Wort Gebende leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort bant (Band) ab und bezeichnete praktisch alles, was sich irgendwie binden und wickeln ließ.
Genannt wird das Gebende bereits im 12. Jahrhundert. Mir ist jedoch keine Abbildung aus dieser Zeit bekannt, die ich zweifelsfrei diesem Begriff zuordnen kann. Eventuell verschwimmen zu dieser Zeit die Begriffe Gebende und Wimpel (beides wird um den Kopf gewickelt).
Für den von mir betrachteten Zeitraum (13. bis Anfang 14. Jahrhundert) versteht man unter Gebende eine zweiteilige Kopfbedeckung. Das Gebende besteht aus dem Kinnstreifen, der ein- oder mehrmals unter dem Kinn entlang, über die Ohren und oben über den Kopf laufend, um den Kopf gewickelt wird. Das Ganze wird mit einer Nadel fixiert. Der zweite Teil ist der Stirnstreifen, der ebenfalls ein- oder mehrfach um Stirn und Hinterkopf gewickelt wird, so dass er wie ein Schapel auf dem Kopf sitzt. Auch der Stirnstreifen wird von einer Gebende-Nadel zusammengehalten. Man kann den Stirnreif auch am Kinnband mit Nadeln befestigen, damit er nicht verrutscht.
Das Gebende war die typische Kopfbedeckung für verheiratete Frauen im 13. Jahrhundert und Anfang des 14. Jahrhunderts.
Bis ca. zur Mitte des 13. Jahrhunderts sind beide Streifen etwa handbreit. Danach werden sie zunehmend schmaler, bis sie Ende des 13./Anfang des 14. Jahrhunderts nur noch 2-3 Finger breit sind (Abb. 32 und 33).
Von Stirn- und Kinnstreifen gibt es mehrere Variationen:
So kann der Stirnstreifen gefältelt (Abb. 52; siehe auch unter "Haube" Abb. 61) sein oder (zu Beginn des 14. Jahrhunderts) auch gerüscht (Abb. 33).
Beim Kinnstreifen ist (vor allem in Frankreich) eine Form zu beobachten, die fast so aussieht, als ob unter dem eigentlichen Gebende noch so eine Art Coiffe getragen würde, bzw. beides mit einander kombiniert wird (Abb. 34, 52 und 53). Abbildung 53 zeigt deutlich eine Naht auf dem Kopfteil dieser haubenartigen Kopfbedeckung, die der Nahtdarstellung bei Männerhauben (Coiffen) sehr ähnlich sieht (Vielen Dank an Nicole Perschau für das Finden dieser Abbildung an dieser Stelle!). Meines Erachtens macht ein solches Konstrukt auch durchaus Sinn, vor allem, wenn man sich im Freien aufhält und keinen Schleier über dem Gebende trägt. Dadurch, dass der Kopf oben komplett bedeckt ist, wird auf jeden Fall die Gefahr eines Sonnenbrandes oder -Stichs gemindert.
Der Übergang zwischen diesen Coiffe-artigen Teilen und den weiter unten beschriebenen Hauben ist vermutlich fließend.
Teilweise sieht es so aus, als wäre der Stirnreif oben geschlossen, wie ein Hut (in der MA-Szene "Pillbox" genannt, nach dem gleichnamigen Hut aus den 50ern). Allerdings scheinen die meisten Abbildungen einen oben offenen Stirnteil darzustellen. Die meisten anderen Abbildungen sind in beide Richtungen interpretierbar. Die nebenstehende "Konstruktions"-Abbildung zeigt z.B. ein oben geschlossenes Gebende, das jedoch deutlich eine Wickelung aufweist: man kann sehr schön das Ende der Stoffbahn erkennen und die Nadel, die das Ganze zusammenhält. Dass das Gebende oben geschlossen ist, lässt sich hier eindeutig über die Funktion der Steinmetzarbeit erklären: es handelt sich um eine Kopfkonsole, auf der wiederum ein anderes Wandelement aufsetzt - die "Ausfüllung" des Gebendes oben ist als durch die Architektur bedingt. Diese Gebendenadel ist auch auf anderen Abbildungen zu erkennen.
Allerdings gibt es auch Skulpturen, die so eine "Pillbox" zeigen, bei denen es keine Anzeichen dafür gibt, dass sie ein offenes Gebende darstellen sollen. Beispiele dafür finden sich unter anderem im Naumburger Dom. Diese "Pillbox" scheint aber immer in Verbindung mit Kronen aufzutauchen und daher würde ich sie als Accessoire für eine Krone halten. Vielleicht um das eher unschöne "Gezuppel" auf dem Kopf zu verbergen, dass sich durch den Kinngebendestreifen ergibt und das nicht wirklich majestätisch aussieht.
Es gibt auch ein paar Funde aus Österreich ("Judendorfer Funde"), die ebenfalls auf eine geschlossene Form des Gebendes hinweisen. Diese Gebende fallen ebenfalls dadurch auf, dass sie fast ausschließlich farbig waren. Diese weicht von den Abbildungen, die fast immer weiße Gebende darstellen, auffallend ab. Allerdings werden in einigen literarischen Quellen bunte Gebende erwähnt (allerdings wird dabei erwähnt, dass diese von jungen Mädchen getragen wurden, wenn sie - im modischen Sinne - besonders mutig sein wollten). Es ist jedoch leider nicht ganz klar, wie diese Funde zu bewerten sind (also regionale Besonderheit oder als Besonderheit einer Minderheitsbevölkerungsgruppe (Juden)).
Alles in allem denke ich, dass man auch hier mit einem weißen, offenen Gebende auf der sicheren Seite ist...
Die Haare konnten unter dem Gebende offen oder zu Zöpfen geflochten getragen werden. In Frankreich war es auch üblich, die Haare im Nacken zu einem Dutt zu stecken (Abb. 34).
Teilweise war das Kinnband wohl so fest gezogen - zumindest wenn man den literarischen Quellen glauben will - dass die Damen nur lispeln konnten. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ein straff sitzendes Gebende nach einer gewissen Zeit anfängt, Ohrenschmerzen zu bereiten, einmal wegen des Druckes und zum anderen, weil man alles so seltsam gedämpft hört.
Über dem Gebende konnte noch ein Schleier getragen werden (siehe auch bei Schleier Abb. 29). Ebenfalls üblich war die Kombination von Haarnetz, bzw. Haube und Gebende.